Reklamationen und die Kapitänsregel
Wenn Sie persönlich mit der Bearbeitung einer Beschwerde nicht mehr weiterkommen und aus einer Reklamation tatsächlich eine Reklame-Aktion machen wollen, dann denken Sie bitte an die Kapitänsregel:
Wie man mit dem Kapitän aus einer Reklamation eine Reklame-Aktion macht
Langstreckenflug nach Bangkok. Die Flugzeit beträgt fast 14 Stunden nonstop. Der Flieger ist bis auf den letzten Sitzplatz ausverkauft. Ein Gast in der Economy Class möchte nach dem Start seine Rückenlehne in eine komfortable Position bringen. Er drückt den dafür vorgesehenen Knopf in der Armlehne, doch der Anstellwinkel lässt sich nicht verändern. Der Gast ist frustriert, denn das bedeutet für die nächsten 14 Stunden eine sehr unbequeme, aufrechte Zwangshaltung. Der herbeigeeilte Flugbegleiter kann den Sitz ebenfalls nicht schräg stellen. Nun steckt der Passagier frustriert seinen Kopfhörer in die Buchse am Sitz, es ertönt ein Pfeifen, danach quittiert auch der Tonanschluss seinen Dienst. Normalerweise ist das Kabinenpersonal in einem solchen Falle angehalten, dem Passagier einen neuen Sitzplatz anzubieten. Dies erweist sich auf einem ausverkauften Flug jedoch als unlösbares Problem. Aussichtslos wäre auch eine Ansage des Inhaltes „Sehr geehrte Passagiere, wir suchen noch einen Masochisten, der gerne seinen Sitzplatz mit einem Mitreisenden tauscht und Stummfilm und Schlaf bei senkrechter Rückenlehne bevorzugt.“
Einzige Möglichkeit in solchen Fällen ist es, den Kapitän zu rufen. Nun sollte man einfach wissen, dass dieser Mann nach dem lieben Gott und dem Autopiloten das ranghöchste Wesen an Bord eines Verkehrsflugzeuges ist. Nicht, dass er etwas am technischen Zustand des Sitzes ändern könnte, aber er beeindruckt allein durch sein Auftreten in der Kabine (Piloten sieht man sonst nie in der Holzklasse), unterstützt durch die schnieke dunkle Uniform mit den vier Streifen und der Kapitänsmütze mit Goldlitzen.
Der Kapitän hört sich in aller Ruhe nochmals den geballten Unmut des betroffenen Passagiers an. Der hatte sich gerade erinnert, vorab über 900 Euro Reisepreis für diese Tortur entrichtet zu haben, was seine Gemütsverfassung nicht eben entspannte. Aber allein die Präsenz des Kapitäns stärkt das Selbstwertgefühl des tief entladenen Fluggastes. Der Kapitän bekommt natürlich die volle Ladung ab, hört sich aber die Leidensgeschichte geduldig zu Ende an und entschuldigt sich in aller Form, auch im Namen der Fluglinie. Anschließend lädt man den Gast noch ins Cockpit ein und verköstigt ihn mit einem Glas Champagner und ein paar Kaviar-Kanapees aus der First Class.
Auf dem Weg nach vorn ins Cockpit kommt der Kapitän bei der Besatzung vorbei: „Also, ich weiß gar nicht, warum Ihr euch so aufregt. Das mit dem Mann lief doch ganz gut – ich seh´ schon, da musste einfach mal der Chef ran.“ Spricht´s und verschwindet im Cockpit.
Ein paar Wochen später könnte sich folgende Szene am Stammtisch des Fluggastes abspielen: „Also Leute, ich muss Euch mal meine Leidensgeschichte erzählen … Ich habe einen solchen Terz veranstaltet, dass sogar der Kapitän bei mir erschien. Also, dem hab‘ ich mal so richtig den Marsch geblasen und ihm erklärt, bei was für einem Saftladen er da arbeitet …“
Fazit:
Was lernen wir daraus für das tägliche Reklamationshandling? Aufgrund der Tatsache, dass wir den Kunden ernst nehmen und ihn als wichtige Person behandeln („Der Chef persönlich hat mit mir gesprochen“), geben wir ihm die notwendige Füllung für seinen tief entladenen Automaten. Es ist wichtig, dem Kunden den Ball zuzuspielen, damit er seine Opfergeschichte nochmals erzählen kann. Damit baut er wie in einem Therapiegespräch auch seine aufgestauten Emotionen ab.